Radtour Paris - Marokko
Ein Jahr vor der Tour

... wo uns eine Idee kommt ...

Die Idee, mit dem Fahrrad nach Marokko zu fahren, war eigentlich keine Idee, sondern vielmehr das Ergebnis nüchterner Überlegungen bei aufgeschlagenem Weltatlas. Thorsten und ich haben uns 1999 zusammengesetzt. Wir wollten eine Radtour planen, eine große Radtour irgendwohin oder irgendwo lang.

Die Lust auf eine längere Tour war in uns schon im Laufe mehrerer kleinerer Projekte an den Bodensee (1995), nach Paris (1997) und nach Venedig (1998) gewachsen. Uns fehlte nur noch der richtige Zeit-punkt und das richtige Ziel. Als richtige Zeitpunkt kam dann langsam der Sommer 2000 in Aussicht. Thorsten hatte seine Ausbildung zum Bankkaufmann abgeschlossen und zum Juli 2000 gekündigt, da er ab Oktober seinen Zivildienst leisten wollte. Ich selbst hatte ab Juli für vier Monate Semesterferien. Die-ser Zeitraum war es, den wir benötigten, für eine längere Tour.

Wieso Marokko? Wir hatten immer schon mal mit dem Gedanken gespielt mit dem Fahrrad nach Afrika zu fahren und Marokko liegt in Afrika. Und warum von Paris aus? Weil wir schon einmal nach Paris gefahren sind. Ein zweites Mal wollten wir diese Strecke nicht fahren, wir hatten Lust auf etwas Neues. Und warum immer an der Küste entlang? Wenn wir schon im Hochsommer durch Südeuropa und Nord-afrika tingeln, dann wenigstens am Meer, wo es in der Regel nicht so heiß ist, wie im Binnenland. Es weht häufiger eine frische Brise.

Wie man sieht, erwarteten wir von der Tour vor allen Dingen eins: Hitze. An Berge haben wir kaum ge-dacht, bei dem Vorhaben, an der Küste entlang zu fahren. Beides hat sich später als Trugschluss heraus-gestellt. Doch dazu auf den folgenden Seiten mehr. Viel Spaß!

Hannover, 23.12. 2000 Lothar Grall

Juni 2000

... wo wir uns Sponsoren suchen ...

Geld verdienen beim Fahrradfahren? Sponsoring macht’s möglich! Schon ziemlich schnell haben wir daran gedacht, dass es bei einem Projekt von diesem Ausmaß doch eigentlich nicht schwer sein sollte Geldgeber gegen Werbung, eben Sponsoren zu finden. Schwer war es dann aber doch. Thorsten hat be-stimmt fünfzig Firmen aus den Bereichen Sport, Ernährung, Getränke, Fahrräder angeschrieben, immer ohne Erfolg. Einige hatten ihren ‚Etat’ schon vergeben, andere schlicht kein Interesse.

Eigentlich hatten wir uns die Idee schon wieder aus dem Kopf geschlagen, doch dann kam es anders. Im Juni 2000, einen Monat vor Abfahrt gab uns Ursula Kallenbach von der HAZ beim gemütlichen Pressege-spräch den goldenen Tipp: Wir könnten doch mal bei der Spedition Ebeling in Gailhof anfragen. Volltreffer. Herr Ebeling war sofort begeistert und würdigte unsere bevorstehende Leistung mit 500 Mark und bot auch noch an, uns samt Fahrrädern bis nach Paris zu transportieren. Das war super. So konnten wir die Bahnfahrt sparen, und es sollte auch ein unvergessliches Erlebnis werden, mit Peter auf dem Bock nach Paris zu schüsseln. Doch dazu gleich mehr.

Schließlich konnte Thorsten auch noch auf altbewährte Bänker-Beziehungen zurückgreifen: Die Volks-bank Burgdorf-Celle unterstütze uns auf seine Anfrage mit 250 Mark und auch Herr Ortmann vom Fahr-radshop Bissendorf war nicht knauserig. Er schenkte jedem von uns ein schönes weißes Trikot und bot uns an unsere Räder kostenlos zu überholen, um sie reisefertig machen. Ich glaube, er hat diese freigiebi-ge Entscheidung hinterher ein bisschen bereut, als es dann mit meinem zehn Jahre alten Fahrrad so viel Ärger gab: Bremszüge neu, Speichen neu, usw... Allen Sponsoren an dieser Stelle nochmals herzlichen Dank!

Als kleine Gegenleistung haben wir unsere Abfahrt von der örtlichen Presse begleiten lassen und auf dem Hof der Spedition Ebeling ein Fotoshooting mit den Geldgebern veranstaltet. Die Artikel konnten in HAZ, Wedemagazin und Echo gelesen werden. Jetzt geht’s aber endlich los...

1. Tag, Mi, 5. Juli 2000

... wo wir auf einem einsamen Felsvorsprung unser Zelt aufschlagen ...

Wir sitzen gerade im LKW der Spedition Ebeling. Vorne links Peter Meerkatz, vorne rechts Thorsten, ich schneidersitze auf dem Bett dahinter. Es ist gemütlich. Heute Nacht sind wir pünktlich um ein Uhr in Gailhof losgefahren. Alles verläuft nach Plan, so dass wir vermutlich um dreizehn Uhr in Tournan en Brie, südöstlich von Paris, abgesetzt werden können. Peter aus Zerbst in der Nähe von Dessau arbeitet seit neun Jahren bei der Spedition Ebeling. Er hat leere Sektflaschen geladen und muss sie in dem eben ge-nannten Ort abliefern. Passt sich ja gut. Wir haben bisher zwei einstündige Pausen gemacht, kurz nach Aachen bei der belgischen Grenze, dann noch mal in Frankreich nach der ersten Maut-Station...

Nach 814 LKW-Kilometern sind wir pünktlich um 12.55 Uhr in Tournan en Brie angekommen. Abgela-den, Adressenaustausch, los geht’s. Wir starten Richtung Orleans. Nach 30 km durchqueren wir Melun. Diese Kleinstadt besticht durch ihre malerische Altstadt und eine alte Kirche, die wir auch fotografieren. Wenig später lachen wir über ein Bushalteschild mit der Aufschrift „Autobus Arrêt facultatif“ - mögli-cherweise hält da ein Bus an, also bitte nicht erschrecken.

Im Verlauf des Tages beeindrucken uns immer wieder die fantastischen Villen, die es hier in dieser Ge-gend in fast jedem Ort gibt. Es scheint so, als würden sich die reichen Pariser im Umland ihre Schlösser bauen. Nach 50 km hat Thorsten einen Kettenriss. Das kann doch nicht sein. Wie als hätte er es kommen sehen, hat der Bissendorfer Fahrradshop Thorsten zu Hause noch einen Kettennieter mit Kettenstift verkauft. So geht es dann wenig später mit fettverschmierten Fingern weiter. Nach 66 km suchen wir uns einen Platz zum Zelten in der Nähe von Larchant.

Wir finden einen wunderbaren Platz auf und inmitten von Felsen. So, jetzt geht es ans eingemachte. Nach vielleicht fünfzehn zum Teil kläglichen Versuchen steht das Zelt auf einem Felsvorsprung wie eine eins - na endlich. Das war aber auch kompliziert. Wer hätte auch gedacht, dass sich die Zeltplane nur dann optimal über Thorstens Fahrrad spannen lässt, wenn er seine Lenkerhörner lockert, seinen Sattel entfernt, diesen durch meinen ersetzt, der dann aber durch eine Rolle Klopapier in Position gehalten werden muss, da mein Sattelohrdurchmesser viel kleiner ist als seiner? Hat halt gedauert bis wir diese Feinheiten her-ausgefunden haben.

Nach getaner Arbeit genießen wir ein tolles Büchsenabendbrot. Es gibt Feuertopf und Ravioli. Es ist wirklich herrlich, so einsam in der Natur...

2. Tag, Do, 6. Juli 2000

... wo wir an die Loire kommen und Jeanne d’Arc bewundern ...

Gleich morgens haben wir erst einmal die ganze Gegend um unseren Zeltfelsen herum erkundet. Es gibt hier sogar Höhlen, in denen hätten wir vielleicht auch schlafen können. Nach dem Frühstück in der Son-ne, es wird ein heißer Tag, brechen wir gegen halb elf auf. Wir tingeln durch kleine französische Dörfer. Einmal treffen wir einen französischen Rennradfahrer, der im Gesicht und an der Hand blutet. Er ist wohl gestürzt und wäscht sich gerade an einem öffentlichen Wasserhahn, einer ‚fontaine’, die es hier recht häufig gibt. Ich biete ihm ein Pflaster an. Er nimmt es gerne. Ein Mann mit einer Säge in der Hand kommt um die Ecke. Ich unterhalte mich mit ihm auf französisch, so gut es eben geht.

Wir kommen nur schleppend voran. Mittags schlagen wir uns in einer Bäckerei den Bauch voll. Nach-mittags folgen wir dem Lauf des „Canal d’Orleans“ bis an die Loire. Orleans erreichen wir erst gegen halb acht. Wir fahren in die Innenstadt und suchen die Statue der Jeanne d’Arc. Ah, da ist sie, hoch zu Ross mit erhobenem Schwert. Gleich mal ein Foto machen.

Wo wollen wir schlafen? Einen Zeltplatz, der auf Thorstens Karte eingezeichnet ist, können wir nicht finden. Er existiert wohl nicht. Frustriert fahren wir nach Orleans zurück. Wir haben Hunger und essen eine Pizza. Neben uns im Restaurant sitzt ein österreichischer Reiseleiter für Fahrradreisen. Er stellt sich als Thomas vor. Wir plaudern. Er schenkt uns eine seiner Radwanderkarten des Loiretals mit einem angenehm kleinen Maßstab. Das ist nett.

Der Himmel sieht aber langsam bedenklich schwarz aus. Wir fahren so schnell es geht entlang der Loire, am Nordufer. Kurz bevor das Gewitter losbricht finden wir einen Zeltplatz, der uns um halb elf Uhr noch aufnimmt, natürlich erst nach klopfen und nachfragen. Gerade rechtzeitig steht das Zelt, gestern haben wir ja auch zu genüge geübt. Wir schlafen beruhigt ein, mit 99 Kilometern in den Beinen.

3. Tag, Fr, 7. Juli 2000

... wo wir das erste Mal richtig Gas geben ...

Wir kommen frühmorgens schon gegen neun Uhr vom Zeltplatz los. Heute haben wir bis Tours viel vor. An der ganzen Loire finden sich regelmäßig tolle Schlösser. Echt überall. Wir können und wollen gar nicht alle fotografieren. Wie die Banausen fahren wir einfach dran vorbei. Das Wetter ist sehr wechselhaft. Gegen elf Uhr ist einmal ein starkes Gewitter. Wir erreichen zum Glück eine Wellblechhütte, besser einen großen Wellblechunterstand. Dort kochen wir erst einmal ein Süppchen und warten bis es wieder aufhört zu regnen. Es gibt Mexikotopf. Lecker.


Kurze Zeit später wird es dann wieder sehr heiß. In Blois suchen wir ein Fahrradgeschäft, wo sich Thorsten eine neue Kette kauft, sozusagen als Ersatz. Ich frage auch noch gleich, wo der nächste Supermarkt ist. Der ist nicht weit, wir müssen nur kurz ein bisschen den Berg hoch. Angekommen decken wir uns reichlich ein, essen aber das meiste sofort auf.

Ab sechzehn Uhr reißen wir nur noch Kilometer und fahren praktisch ununterbrochen, bis wir abends gegen neun Uhr die Jugendherberge von Tours erreichen. Die Stadt Tours selbst macht einen historisch-bewusst jedoch modernen Eindruck. Wir können aber nicht viel sehen, da es schon dunkel wird. Nach 126 Kilometern haben wir keine Lust mehr runter in die Innenstadt zu fahren. Wir duschen, essen Baguette mit Salami. Wir haben ein Vierbettzimmer, also zwei Stockbetten. Es kommt noch ein Japaner hinzu. Er ist so klein, das er problemlos liegen kann, obwohl ein riesiger Reiserucksack zu seinen Füßen liegt. Na ja, auch wir genießen die Nacht auf der weichen Matratze.

4. Tag, Sa, 8. Juli 2000

... wo wir mit Franzosen feiern und Zigaretten tanzen lassen ...

Wir entdecken beim Frühstück in der Jugendherberge erfreut Müsli. Das ist selten hier im Land des Ba-guettes. Wir hatten schon selbst welches besorgt, können dies nun aber getrost geschlossen lassen. Ein Kanadier aus Quebec, der neben uns sitzt, ist genauso froh darüber. Auch er kam mit einem Sack voll Körnern zum Frühstück runter, rührt ihn aber dann nicht an. Er ist auch mit dem Rad unterwegs und wir erzählen uns viel. Bei der Abfahrt schließen sich uns neben ihm auch noch eine deutsche Radlerin mit ziemlich viel Gepäck und eine Neuseeländerin an. Die drei wollen alle zum Schloss Villandry und die weltberühmten Gärten im Schlosspark besichtigen. Wir haben natürlich wieder einmal keine Lust auf Kultur (Barbaren) und fahren Richtung Angers weiter, nicht ohne ein Foto von uns allen machen zu las-sen. Das Fahren wird allerdings nach und nach immer anstrengender: Der Gegenwind nimmt ständig zu. Uns schmerzen zudem Po und Knie.

Gegen halb neun treffen wir nach 108 km in dem kleinen verschlafenen Örtchen Couture auf eine Dorf-kneipe, in der auch Eis verkauft wird. Spontan halten wir auf meinen Vorschlag an, kaufen uns an der Biertheke zweimal Mega amandes, so etwas wie Magnum Mandel. Wir erregen soviel Aufsehen, werden sofort lauthals angesprochen, werden gefragt woher und wohin. Ein Mädchen und ein Junge, etwa 18 und 20 Jahre alt, sie heißen Beatrice und Tony, zeigen uns gleich Tonys Auto: Es ist eine einzige fahrende Stereoanlage, Überall Boxen, 3 riesige Bässe im Kofferraum, zwei fette Verstärker, usw. Er lässt auf dem Autodach Zigaretten hüpfen, gar kein Problem bei dem Bass. Beatrice schlägt uns vor, doch auf dem örtli-chen Campingplatz zu zelten und noch mit ihnen ein bisschen zu trinken. Tony ist schon voll. Kein Wunder. Die beiden sitzen wohl schon seit halb eins mittags in der Pinte.

Beatrice fährt mit mir zum Campingplatz. Er hat bereits seit zwanzig Uhr geschlossen, doch Beatrice sucht den Direktor und organisiert alles. Wir sollen bloß vor dreiundzwanzig Uhr unser Zelt aufbauen., meint dieser. Dann geht schon alles in Ordnung. Gezahlt wird morgen früh. Die Franzosen sind überaus gastfreundlich und unkompliziert, sie haben das gewisse Savoir-Vivre. Uns gefällt Frankreich sehr. Zu-rück in der Pinte steht Thorsten schon an der Theke, umringt von allen Franzosen, mit einem Bier in der Hand. Hoch die Tassen! Es macht unheimlich viel Spaß. Es ist unser erster intensiver Kontakt mit der französischen Bevölkerung vom Lande.

Um kurz nach halb elf fahren wir zum Zeltplatz zurück. Kaum steht das Zelt fängt es auch an zu regnen, die ganze Nacht, dann sogar den ganzen nächsten Tag, doch dazu später mehr.

5. Tag, So, 9. Juli 2000

... dauernd nur Regen und Gegenwind ...

Morgens kaufen wir uns nur einen Liter Milch und ein paar Croissants an der Campingplatz-Theke und essen unser eigenes Müsli damit. Es schmeckt mir nur mittelmäßig, da im Kellogs-Müsli leider Kokosnuss enthalten ist, die ich nicht mag. Der Regen macht eine kurze Pause, in der wir schnell unser Zelt abbauen. Trotzdem ist natürlich alles nass, auch die Schlafsäcke. Den ganzen Tag hört es dann nicht mehr auf zu regnen. Morgens haben wir in einer Zeitung gesehen, dass es sogar Sturm geben soll. 50-60 km/h Windstärke genau von Südwesten. Warum auch nicht? Ordentlich Gegenwind! Stellenweise bekommen wir dann auch das volle Schlechtwetterprogramm Petrus’ zu spüren.

Wir fahren nur etwa 38 km bis Angers. Die Jugendherberge, die auf der Karte eingezeichnet ist, suchen wir vergeblich. Ein billiges Einsternhotel genügt unseren Ansprüchen. Da es den ganzen Tag weiterregnet, verbringen wir den ganzen Nachmittag und Abend im Hotel. Überall trocknen unsere Sachen. Thorstens Schlafsack hängt über der Gardinenstange, meiner über dem Kleiderständer, der Rest ist sonst wo verteilt. Einmal leiht sich Thorsten einen Fön von nebenan aus, um seine Schuhe trocken zu fönen. Das hatten sie aber auch nötig, komplett durchgeweicht! Dank der Überzieher war es bei meinen nicht so schlimm. Wir essen auch auf dem Zimmer. Es gibt Chili con Carne und 3 Dosen kalte Spaghetti. Abends gehen wir dann, irgendwie trotzdem erschöpft, ins kuschelige Ehebett.

6. Tag, Mo, 10. Juli 2000

... wo wir fast am Meer sind und dennoch erst in Nantes ...

„Geil!“ war das erste Wort, das Thorsten nach dem Aufwachen ins Zimmer rief. Wider all unseren Er-wartungen hat es über Nacht aufgehört zu regnen. Nur noch der Wind scheint sehr stark zu sein. Die Wolken rasen über den Himmel. Nach dem französischen Frühstück im Hotel bezahlen wir 230 FF und brechen auf. Die Gärten im Schlossgraben vor dem Château von Angers sind bildhübsch. Wir legen eine kurze Photo-Session ein. Leider wollen wir uns nicht die Zeit nehmen, den längsten Wandteppich der Welt anzuschauen, der im Chateau ausgestellt ist. Wir haben heute nämlich wieder viel vor. Nantes liegt etwa 100 Kilometer entfernt und der starke Wind kommt uns genau entgegen. Entsprechend anstrengend wird die Etappe sein. Zu unserem leidigen Erschrecken stellen wir beim Losfahren noch fest, dass es doch eine Jugendherberge in Angers gibt. Beim Verlassen der Stadt sehen wir mehrere Hinweisschilder. Ge-stern haben wir kein einziges gesehen.

Das Wetter ist den ganzen Tag über wechselhaft. Um vierzehn Uhr beginnt es zu regnen. Zwei Stunden später scheint wieder die Sonne - Regen - Sonne - Regen - Sonne. Immer aber auch viele Wolken. Der Himmel sieht oft so bedrohlich aus, dass wir lieber in unserem Regenzeug schwitzen, als es einmal zu oft auszuziehen. Als wir gegen neunzehn Uhr die Jugendherberge erreichen beschließen wir erst mal in die City zu gehen, um ordentlich zu essen. Wir finden eine tolle Pizzeria. Die Pizzen sind so groß, dass sie sogar über einen ohnehin überdimensionalen Teller hängen. Ich esse Pizza Thunfisch, Thorsten Napolita-ne. Die Stadt gefällt uns sonst ziemlich gut, im Gegensatz zur Jugendherberge. Sie ist zwar zentral gele-gen, ähnelt aber mehr einem Betonkomplex - nicht von außen, sondern von innen. Es ist nicht so lebhaft wie sonst in Jugendherbergen, totenstill, auf langen, dunklen Fluren, dafür aber sehr teuer mit 100 FF pro Person. Unser Zweibettzimmer liegt in der fünften Etage. Damit haben wir noch Glück! Wenigstens kön-nen wir unsere Fahrräder mit auf das Zimmer nehmen. Na ja, dann gute Nacht. Ach ja, heute sind wir genau 100 Kilometer gefahren.

7. Tag, Di, 11. Juli 2000

... wo wir in einem Bauernhof auf Glaswolle schlafen ...

Morgens beim Frühstück in Nantes treffen wir zwei deutsche Mädchen aus Köln. Sie zeigen uns, wo es die Müsli-Schalen gibt. Das Frühstück ist ziemlich unorganisiert und gar nicht nach unserem Geschmack. Man kann nichts nachbekommen, da keiner da ist. So gehe ich kurzerhand in die Küche und besorge mir ein großes Baguette, indem ich es einfach aus einem Sack nehmen den ich sehe. Nach dem Frühstück geht es noch kurz zur Post und dann los. Wir kommen sehr gut voran, da der Wind zum ersten Mal nicht von vorne kommt. Den Ort, den wir uns zuerst als Ziel gesteckt hatten, La-Roche-sur-Yon ist jedoch nur etwa 60 km entfernt, so dass wir uns kurzfristig entscheiden weiter bis Luçon zu fahren.

Es geht gut, regnet nicht, obwohl sehr viele Wolken am Himmel sind. Die Landschaft ist französisch hügelig. Mittags halten wir irgendwo an und kaufen Sandwichs mit Käse. Abends gegen neunzehn Uhr halten wir in Luçon an einem Hyper-U-Supermarkt, telefonieren und kaufen ein. Eigentlich wollen wir dann irgendwo im Zelt im Wald übernachten. Da der Himmel aber erneut bedrohlich schwarz wird, fragen wir bei einem nahegelegenen Bauernhof, ob wir in irgendeiner Scheune schlafen können. Thorsten hatte diese grandiose Idee. Der Bauer willigt sofort ein und zeigt uns eine Art Rumpelkammer als Schlafplatz. Es ist super, im Trockenen zu sitzen, wenn draußen das Unwetter losgeht. Wir essen noch etwas. Dann bereiten wir unserer Nachtlager auf Isolierglaswollmatten und gehen um elf Uhr schlafen. Ach ja, Thorsten hat sich im Supermarkt eine Kassette französischen Hip-Hops gekauft, so dass wir zum erstenmal wieder Musik hören, Luxus, nicht? Die Heutige Tagesetappe betrug 113 Kilometer.

8. Tag, Mi, 12. Juli 2000

... wo wir Familie Brumauld in La Rochelle besuchen ...

Wir wachen gegen neun Uhr auf, schaffen wieder Ordnung in unserer Luxus-Suite. Frühstück essen wir draußen in der Sonne, an eine Mauer gelehnt. Es gibt Müsli. Der Opa der Bauernfamilie stapft an uns vorbei, benutzt dabei einen großen Handrasenmäher als Gehhilfe. Als Abschiedsgeschenk überreichen wir der Bauersfrau eine Packung Schokokekse. Sie will erst gar nicht annehmen, dann aber doch.

Es geht weiter, zügig nach La Rochelle, das wir schon gegen Mittag erreichen. Wir checken in der Ju-gendherberge ein. Sie liegt am Port des Minimes, am großen neuen Hafen. Überall Schiffe und Segler. Wir sind endlich am Meer, am Atlantik! Wir besuchen den Strand und die Steilküste und gehen ein biss-chen Muscheln suchen. Ganz La Rochelle ist ein einziges Fest. Nachdem wir uns geduscht und rasiert ha-ben, schlendern wir an den ganzen Ständen am alten Hafen vorbei. Das Fest heißt Francofolies, dauert fünf Tage und ist eine Art jährlich stattfindendes Bandfestival in La Rochelle.

Gegen neunzehn Uhr besuchen wir meine alte Gastfamilie, Familie Brumauld, in der Rue du Parc 17. Ich erkenne sofort alles wieder, obwohl mein letzter Besuch knapp fünf Jahre her ist. Wir werden herzlich empfangen. Mein Brief ist glücklicherweise in der Tat am Morgen angekommen, so dass sie über meine heutige Ankunft bescheid wussten. Wir trinken erst Saft und bekommen dann ein wunderbares Abendes-sen serviert. Wir plaudern viel. Nicolas ist nicht da. Es wohnt jetzt in Montpellier, das liegt an der Mit-telmeerküste, und studiert. Trotzdem ist alles beim alten geblieben. Der Vater, Luc, hat immer noch seine Leidenschaft für Porsche. Er fährt zur Zeit einen selbstrenovierten Porsche 346 Cabrio, den es nur noch 40 mal auf der Welt gibt. Gegen halb elf verabschieden wir uns, schlendern noch ein bisschen über das Fest, kehren dann jedoch zur Herberge zurück. In unserem Fünfbettzimmer schläft noch ein dritter. Er heißt Julien-Marc, kommt aus Paris und ist besessener Kommunist. Nach einigen unbefriedigenden Dis-kussionen auf Englisch - er spricht es ganz gut - gehen wir ins Bett, mit der Angst, von diesem Amokläu-fer nachts umgenietet zu werden. Spaß beiseite. Es passiert natürlich nichts. Die Betten sind etwas durch-gelegen. Trotzdem schlafen wir gut. Tagesetappe: 61 km.

... wo wir Familie Brumauld in La Rochelle besuchen ...

Wir wachen gegen neun Uhr auf, schaffen wieder Ordnung in unserer Luxus-Suite. Frühstück essen wir draußen in der Sonne, an eine Mauer gelehnt. Es gibt Müsli. Der Opa der Bauernfamilie stapft an uns vorbei, benutzt dabei einen großen Handrasenmäher als Gehhilfe. Als Abschiedsgeschenk überreichen wir der Bauersfrau eine Packung Schokokekse. Sie will erst gar nicht annehmen, dann aber doch.

Es geht weiter, zügig nach La Rochelle, das wir schon gegen Mittag erreichen. Wir checken in der Ju-gendherberge ein. Sie liegt am Port des Minimes, am großen neuen Hafen. Überall Schiffe und Segler. Wir sind endlich am Meer, am Atlantik! Wir besuchen den Strand und die Steilküste und gehen ein biss-chen Muscheln suchen. Ganz La Rochelle ist ein einziges Fest. Nachdem wir uns geduscht und rasiert ha-ben, schlendern wir an den ganzen Ständen am alten Hafen vorbei. Das Fest heißt Francofolies, dauert fünf Tage und ist eine Art jährlich stattfindendes Bandfestival in La Rochelle.

Gegen neunzehn Uhr besuchen wir meine alte Gastfamilie, Familie Brumauld, in der Rue du Parc 17. Ich erkenne sofort alles wieder, obwohl mein letzter Besuch knapp fünf Jahre her ist. Wir werden herzlich empfangen. Mein Brief ist glücklicherweise in der Tat am Morgen angekommen, so dass sie über meine heutige Ankunft bescheid wussten. Wir trinken erst Saft und bekommen dann ein wunderbares Abendes-sen serviert. Wir plaudern viel. Nicolas ist nicht da. Es wohnt jetzt in Montpellier, das liegt an der Mit-telmeerküste, und studiert. Trotzdem ist alles beim alten geblieben. Der Vater, Luc, hat immer noch seine Leidenschaft für Porsche. Er fährt zur Zeit einen selbstrenovierten Porsche 346 Cabrio, den es nur noch 40 mal auf der Welt gibt. Gegen halb elf verabschieden wir uns, schlendern noch ein bisschen über das Fest, kehren dann jedoch zur Herberge zurück. In unserem Fünfbettzimmer schläft noch ein dritter. Er heißt Julien-Marc, kommt aus Paris und ist besessener Kommunist. Nach einigen unbefriedigenden Dis-kussionen auf Englisch - er spricht es ganz gut - gehen wir ins Bett, mit der Angst, von diesem Amokläu-fer nachts umgenietet zu werden. Spaß beiseite. Es passiert natürlich nichts. Die Betten sind etwas durch-gelegen. Trotzdem schlafen wir gut. Tagesetappe: 61 km.

9. Tag, Do, 13. Juli 2000

... eine Lenkertasche voll Joghurt und keine ‚sur-chaussures’ ...

Der Tag fängt eigentlich ausgesprochen gut an. Nach einem angenehmen Frühstück um neun Uhr fahren wir erst spät gegen elf Uhr los. Wir kaufen uns noch ein paar Sandwichs ehe es richtig weiter gehen soll. Doch dann kommt alles ganz anders. Thorsten fliegt eine Fliege ins Auge, die er den ganzen Tag nicht mehr loswerden soll. Ein paar Kilometer weiter reißt mir eine Gepäckträgerschraube ab. Wir flickten notdürftig mit Klebeband. Als es dann auch noch anfängt zu regnen, war das Maß voll. Wir fahren nur bis Rochefort, essen dort bei McDonalds, kaufen im Supermarkt ein, suchen einen Fahrradshop auf, der für 60 FF den Schraubenrest herausbohrt und eine neue Schraube reindreht. Glücklicherweise komme ich einige Minuten vorher nicht aus meinen Klickpedalen und falle voll auf die Klappe, meine Lenkertasche, in der ich ausnahmsweise die vier Becher Naturjoghurt verstaut hatte, kullert über den Asphalt. Da hatte ich den Salat. Zum Glück hat der Kerl im Fahrradshop, den wir einfallsreich Luc Ortmann getauft haben, auch joghurtverschmierte Geldscheine angenommen. Na ja. Ich mache jedenfalls erst einmal meine Len-kertasche joghurtrein. Danach fahren wir zu Decathlon, einem riesigen Sportgeschäft außerhalb der Stadt, weil wir nach Regenüberziehern für Thorstens Schuhe suchen wollen, sogenannte ‚sur-chaussures’. Na-türlich ist die benötigte Größe ausverkauft.

Da es dann schon neunzehn Uhr ist, beschließen wir nach nur 52 Kilometer uns ein Nachtlager zu suchen. Wir sind in Rochefort. Es soll hier eine Jugendherberge geben. Auf dem Weg dorthin geraten wir in eine Militärparade anlässlich des morgigen französischen Nationalfeiertags. Wir schauen gerne zu, erreichen die Herberge so allerdings erst nach einundzwanzig Uhr. Natürlich ist kein Bett mehr frei. Der Zivi bietet uns allerdings an, im Garten zu zelten. Eigentlich haben wir keine Lust auf Zelten bei dem Regen, länger suchen wollen wir dann allerdings auch nicht und willigen ein. Wir installieren unser Zelt in die Ecke gedrängt unter einem buschartigen Baum. Gegen Mitternacht findet noch ein riesiges Feuerwerk statt, das wir von der Dachterrasse der Jugendherberge aus wunderbar beobachten können. Ein wahrer Genuss für die geschundenen Sinne. Na ja, wir haben ja alles überstanden.

10. Tag, Fr, 14. Juli 2000

... wo uns eine Brücke aufhält bis zur Überfahrt ...

Wir wollen endlich einmal richtig früh losfahren, um viel zu schaffen nach den beiden mageren letzten Tagen. Morgens essen wir deshalb nicht in der Herberge sondern selbstmitgebrachtes Müsli. Um neun Uhr brechen wir auf. Doch schon nach zwei Kilometern wird unser Tatendrang jäh gestoppt. Es gibt kei-ne Brücke über die Charente, nur eine spezielle ‚Pont Transbordeur’ aus dem letzten Jahrhundert. Das ist eine große, etwa 50 m hohe Stahlkonstruktion, an der mit kreuzweise verspannten Drahtseilen ein einzel-nes Brückenelement hängt. Dieses kann dann vom einen bis zum anderen Ufer bewegt werden. Leider geschieht dies täglich erst um zehn Uhr, so dass wir ganz umsonst derart früh aufgestanden sind.

Es hat übrigens mit unserer Abfahrt wieder angefangen zu regen, wie immer. Bisher hatten wir an neun Tagen in irgendeiner Form Regen. Wir kommen mit der erwarteten ‚Hitze’ also überaus gut klar. Das Warten auf die Brückenüberfahrt hat sich dann allerdings gelohnt. Es ist urig und macht viel Spaß, zumal dies auch die einzige erhaltene Brücke dieser Form in Frankreich ist. Es gibt aber wohl noch eine in Deutschland, wie uns ein alter Herr in akzentfreiem Deutsch zu berichten weiß, den wir auch schon gestern Abend zufälligerweise getroffen haben. Nach der Überfahrt geht es trotz Regen zügig weiter bis Royan. Dort setzen wir mit der Autofähre zum Point du Grave’ über. Es hört drüben auf zu regnen. Auf der Karte überrascht uns die Atlantikküste Frankreichs: etwa zweihundert Küstenkilometer wie mit dem Lineal gezogen, alles Sandstrand.

Wir treten kräftig, sehr kräftig in die Pedale. Nach 100 km essen wir eine Pizza Margherita zu ‚Mittag’. Interessant ist, dass wir in dieser Gegend nur etwa alle 15-20 km auf eine Ortschaft treffen. Dazwischen wächst nichts als Nadelwald und Farngewächse. Erst nach 145 km suchen wir uns einen Campingplatz, die es hier am Atlantik in regelmäßigen Abständen gibt. Wir hatten uns zwar vorgenommen in einer Ju-gendherberge in Cap Ferret zu übernachten. Leider haben wir uns da aber im Ort geirrt, so dass wir mit dem Zeltplatz in Arès vorlieb nehmen müssen. Die Nacht im Zelt ist dann aber super. Es wird ein wun-derbarer, lauer Sommerabend mit wenigen Wolken am Himmel. Die Bäume rauschen durch den Wind der weht. Wir schlafen bei geöffnetem Zelt. Die herrliche Frische tut wunderbar gut.