21. Tag, Di, 25. Juli 2000

... wo wir Zeugen eines riesigen Pilgerfestes werden ...

Heute wachen wir wieder um neun Uhr auf. Draußen regnet es gerade nicht (wie die ganze Nacht), allerdings sind tiefschwarze Wolken am Himmel. Es wird also mit Sicherheit wieder losgehen. Mal sehen wann...

Heute ist spanischer Feiertag. Deswegen haben alle Supermärkte geschlossen. Wir kaufen etwas Brot und Käse in einer kleinen Bäckerei. Es fängt erst um vierzehn Uhr an zu regnen.

Etwa 10 km vor Santiago de Compostella ist die Straße nur noch für Autos zugelassen. Wir weichen auf den, Camino de Santiago’, den Jakobsweg der Pilgerer nach Santiago aus. Wir treffen auf erstaunlich viele Pilgerer. Viele tragen eine Muschel um den Hals oder am Gepäck: das Zeichen der Pilgerer. Später in Santiago erfahren wir dann auch warum gerade heute so viele anzutreffen sind. Am 25. Juli ist jedes Jahr der Jakobstag, der Tag der Pilger. In der Stadt wimmelt es von feiernden und glücklichen Pilgergruppen, die z.T. nach wochenlangen Märschen heute eintreffen. Wir lesen in einem spanischen Reiseführer den historischen Hintergrund über den Apostel Jakobus durch, fotografieren auch die überwältigende Kathedrale von Santiago, wo er begraben sein soll. Santiago de Compostella ist nach Rom und Jerusalem der bedeutendste Wallfahrtsort der christlichen Kirche. Das ist schon ein gottgewollter Zufall, das wir gerade an diesem Tag in Santiago eintreffen, der Tag im Jahr, an dem hier wohl am meisten los ist. Vor der Kathedrale werden wir noch kurz von einem Fernsehteam als Kulisse benutzt. Dann gehen wir mit unseren Rädern durch die Altstadt.

Wir versuchen vergeblich Postkarten zu kaufen. Es gibt nichts. Alles ausverkauft. Als es wieder anfängt zu regen, haben wir von den Menschenmassen genug. Wir beschließen noch bis nach Padron zu fahren, also noch etwa 20 km weiter. Der Regen macht einem aber wirklich zu schaffen. Er kriecht kalt in die Knochen, lähmt jeden Drang zum Weiterfahren. In einem Café genießen wir noch einen Cola-Cao und zwei Croissants. Dann suchen wir uns eine‚ Absteige’. Heute ein Hotel mit zwei Sternen für 5500 Peseten die Nacht. Es ist in Ordnung. Nach einer Dusche gehen wir telefonieren, schauen noch ein bisschen spa-nisches Fernsehen und gehen um halb zwölf schlafen. Tagesetappe: 75 km.

22. Tag, Mi, 26. Juli 2000

... wo wir Portugal erreichen und in einer Honey-Moon-Suite schlafen ...

Heute morgen bin ich schon um 8.40 Uhr aufgewacht. Ich hatte gleich Lust, Inka einen Brief zu schreiben und habe diese Lust dann auch sofort in die Tat umgesetzt. Draußen regnet es nicht, obwohl wieder tiefschwarze Wolken am Himmel hängen. Vielleicht haben wir ja Glück?

Und ob wir Glück haben! Wir kommen heute gut voran, durchqueren Pontevedra und Tui. Ge-gen zwölf Uhr genießen wir ein zweites Frühstück. Es gibt Müsli mit Apfel, Haferflocken und Joghurt. Zu Mittag essen wir eine Linsensuppe in Rebaldeo.

Wolken zeigen sich zwar die ganze Zeit über, es reget jedoch nicht. Gegen zwanzig Uhr überqueren wir die Grenze nach Portugal auf einer urigen Eisenbrücke: Die Mitte ist für Autos, außen Fußgänger und oben drüber Eisenbahn. Sofort hinter der Grenze tauschen wir Geld in portugiesische Escudos. Leider ist nirgends der Eurokurs angegeben, so dass wir nicht wissen welchen Wert das Geld in unseren Händen hat. Gegen einundzwanzig Uhr kehren wir in ein Hotel in Valenca ein. 6000 Escudos mit Frühstück. Wieviel ist das in DM? Insgesamt sind wir heute 101 km gefahren. Das Wetter hat es zugelassen. Das Zimmer ist in Ordnung. Wir haben ein 1,40 m breites Doppelbett mit rosa Tagesdecke. Aha. Liebesnacht in der Honey-Moon-Suite? Spaß beiseite. Fernseher haben wir auch. Die Werbung mit den Krabben ist echt super. Die Dusche auch. Es ist jetzt fünf vor eins und ich gehe schlafen.

23. Tag, Do, 27. Juli 2000

... wo wir zwei Deutsche treffen, die nur das ‚Nötigste’ dabei haben ...

Losgefahren um halb elf nach einem portugiesischen Frühstück mit Brötchen, Butter, Marmela-de und Milchkaffee, kommen wir gut voran. Gegen zwölf Uhr machen wir Rast in Caminha. Dort essen wir Müsli als zweites Frühstück. Es geht weiter Richtung Süden, immer am Meer entlang.

Gegen fünfzehn Uhr werden wir von Sven und Lars aus Koblenz eingeholt. Nachdem wir fest-stellen das sie Deutsche sind, passen wir uns ihrem zügigen Tempo an und unterhalten uns. Sie sind Lehrer für Sport und Religion bzw. Physik in Koblenz und den ganzen Weg bis hierher 2700 km geradelt. Allerdings fliegen sie morgen ab Porto mit dem Flieger nach Deutschland zurück. Wir fahren bis achtzehn Uhr zusammen. Dann entdecken wir unseren ersten McDonalds auf der Iberischen Halbinsel und kehren erst einmal ein. Nach dem Mahl lassen wir uns noch zu viert fotografieren. Dann trennen sich unsere Wege. Die beiden wollen hier in der Nähe noch ein Bierchen trinken und dann auf einem Zeltplatz ihre letzte Nacht der Tour verbringen, wäh-rend Thorsten und ich noch bis nach Porto radeln wollen.

Erst gegen einundzwanzig Uhr kommen wir in Porto an. Die Stadt mit ihren 1,5 Millionen Ein-wohnern ist sehr schön. Es gibt am Wasser eine wunderbare Promenade. Den Doubro, den Fluss der die Stadt ‚Porto’ auf der nördlichen und die Stadt ‚Cala’ auf der südlichen Flussseite liegen lässt - daher hat Portugal seinen Namen - überqueren wir mit dem Schiff für umgerechnet 1,50 DM pro Person. Beim Aufladen meines Fahrrades fällt zwar meine Luftpumpe ins Wasser, aber sie kann ja schwimmen. So kriegen wir sie schnell wieder. Am anderen Ufer sind wir wohl in der Unterstadt: Viel Armut. Wir passieren einen der in dieser Gegend üblichen ‚Waschsalons’: Einen überdachten Bau mit Betonbecken. Etwa fünfzehn Frauen und Mädchen stehen da und waschen eifrig Wäsche. Wir machen ein Foto und überlegen kurz ob wir uns dazustellen sollen, um unsere verschwitzten Trikots zu waschen. Da es aber schon kurz vor zweiundzwanzig Uhr ist, fahren wir weiter, um noch rechtzeitig einen Campingplatz zu erreichen. Dreißig Minuten später, die Sonne ist bereits im Atlantik versunken, kommen wir auf einem Zeltplatz an. Die Rezeption ist noch geöffnet. Wir checken ein, essen, duschen, telefonieren und kriechen gegen ein Uhr früh in unsere Schlafsäcke. Schade, dass der Boden ohne Gras so hart ist. In diesem Sinne eine ‚gute’ Nacht. Tagesetappe: 129 km.

Ach ja da fällt mir noch folgendes zu Sven und Lars ein. Lars erzählt Thorsten eifrig, dass man ab einem gewissen Alter einen minimalen Komfortstandard braucht beim zelten. Thorsten, der auf den Gepäckturm der beiden Koblenzer über ihren Hinterrädern schaut, denkt sich, dass Lars den Vergleich zu unserer Minimalausstattung meint und sich selbst als älter, komfortgewöhnt bezeichnet. Dann allerdings folgender Satz aus seinem Mund: „Wir, wir kommen ja mit dem Nötigsten aus.“ Das Nötigste ist dabei ein fünf Kilogramm Zelt mit dicken Zeltstangen und ein großer drei Kilogramm schwerer Kocher, einmal benutzt, unser Zelt wiegt zum Vergleich etwa 900 Gramm, und unser kleiner x-mal benutzter Esbitkocher auch nur vielleicht hundert Gramm. Komfortminimum ist also irgendwie relativ, oder?

24. Tag, Fr, 28. Juli 2000

... wo wir mitten in ein portugiesisches Straßenrennen hineingeraten ...

Die Nacht war schrecklich. Der rasenlose Zeltuntergrund war hart wie Beton. Wir wachen erst um neun Uhr dreißig auf, bleiben aber noch einen Moment liegen und machen uns dann in aller Ruhe fertig, so dass wir erst mittags auschecken. Der Tag ist angenehm warm, die Sonne scheint. Wir fahren morgens zunächst am Meer entlang. Überall liegen schon Menschen am Strand und genießen die Sonne. Nach einiger Zeit verlassen wir zwangsweise die Strecke am direkten Wasser. Sie hört einfach auf. Wir wechseln auf die N 109, eine etwas größere‚ Straße.

Mit der Zeit bemerken wir immer mehr Menschen, die sich am Straßenrand versammeln. Einige applaudieren uns zu, anderen feuern uns an. Immer mehr werden es. Das ist ein ganz schön komisches Gefühl, so beklatscht zu werden. An jeder Straßenkreuzung steht ein portugiesischer Polizist. Aber, aber, das wäre doch nicht nötig gewesen, extra wegen uns. Nicht ganz extra. Wir sind auf die Route eines großen Fahrradrennens geraten, keine Ahnung wie es heißt.

Irgendwann werden auch wir von einigen entgegenkommenden Polizeimotorrädern zum Halten am Straßenrand aufgefordert. Es dauert nicht lange, da geht es auch schon los. Erst die Spitzen-gruppe, dann ein paar einzelne, dann der große Pulk. Es sind Teams zu erkennen, wie bei der Tour de France. Danach kommen die ganzen Teamautos mit den tollsten Rennrädern auf dem Dach. Nur eines, bitte gebt mir nur eines, denke ich. Thorsten findet drei Trinkflaschen, die die Radsportler weggeworfen haben. Die Nacht über will er sie reinigen, um sie dann zu benutzen. Um vierzehn Uhr dreißig ist alles vorbei. Wir fahren weiter.


Gegen achtzehn Uhr erreichen wir ein Einkaufszentrum in Aveira, in dem es auch einen McDo-nalds geben soll. Wir gehen erst mit Fahrrädern rein, werden dann allerdings von der freundli-chen Security wieder hinausbegleitet, mit der Bitte, unsere Räder doch hier draußen anzuschlie-ßen. Wir kommen der Aufforderung gerne nach. Zur Vorsicht nehmen wir allerdings unsere Lenkertaschen mit in das Gebäude. Wir entdecken nach einen Zeitschriftenladen, in dem es den deutschen! Spiegel gibt und die englische Newsweek. Die erste geht an Thorsten, die zweite Zeitschrift geht an mich.

Nach einem ausgiebigen Mahl bei McDonalds gehen wir zu unseren Fahrrädern zurück. Thor-stens Fahrradcomputer wurde gestohlen. Ich hatte meinen zum Glück abgemacht und mitge-nommen. So ein Ärgernis. Trotzdem fahren wir weiter, machen die 100 km voll bis Praia de Mira, wo wir gegen einundzwanzig Uhr fünfzehn ankommen. Der Zeltplatz ist riesig. Wir haben die Qual der Wahl, finden dann aber doch ein schönes Plätzchen. Es ist ziemlich windig. Wol-ken kommen auf. Wir duschen kalt, da wir natürlich keine Duschmarken gekauft haben. Gegen Mitternacht kriechen wir ins Zelt. Vorher habe ich noch mit Inka telefoniert. Mal sehen was uns morgen erwartet.


25. Tag, Sa, 29. Juli 2000

... wo wir einen Tacho kaufen und in einer königlichen Jugendherberge schlafen ...

Heute morgen stelle ich erschüttert fest, dass nach 2260 km die Batterien meines Fahrradcomputers schlapp gemacht haben. Blöd. Jetzt müssen wir unsere Tagesetappe anhand der Karte schätzen, da ja auch Thorstens Computer seit gestern Nachmittag nicht mehr existiert. Es ist schon wieder zehn Uhr dreißig, wir fahren deshalb erst einmal los.

Nach etwa 45 km erreichen wir Figueira da Foz, eine schöne portugiesische Küstenstadt. Dort halten wir an einer Tankstelle an und fragen nach dem nächsten Fahrradgeschäft. Mittlerweile ist es schon ein Uhr. Der Kassierer spricht ein gebrochenes Englisch. Der von ihm beschriebene Shop liegt ganz in der Nähe. Es ist sehr leicht zu finden. Thorsten fragt nach einem neuen Fahrradcomputer von Sigma Sport. Wir werden von drei jungen Burschen bedient. Obwohl der Laden super eingerichtet ist - er macht einen tollen Eindruck - haben sie das Tachomodell mit zwei programmierbaren Radumfängen nicht vorrätig. Die drei sind wirklich nett. Der älteste, er heißt Ricardo und spricht fast fließend Englisch, schenkt Thorsten zwei weiße Katzenaugen für die Speichen. Er bewundert sein Fahrrad. Dann fällt ihm ein, wo wir vielleicht das Tachomodell bekommen könnten. Er begleitet uns mit seinem Fahrrad zum nächsten Bike-Shop. Warum er so gut Englisch spreche, wollen wir wissen. Er meint, er habe Verwandte in Kanada. Wenn die zu Besuch sind würde die ganze Familie nur Englisch sprechen. Deshalb beherrsche er die Sprache ziemlich gut. Er erzählt eine Menge, fragt uns, wie uns die Stadt gefalle. Für das, was wir bereits gesehen haben, super. Es tut mir gut, mal wieder mit einem Einheimischen in Kontakt zu kommen. Ich bin sehr erstaunt, als er erzählt noch nie außerhalb Portugals gewesen zu sein. Wir haben jedenfalls viel Spaß mit ihm.

Der andere Fahrradladen hat genau den gewünschten Tacho. Auch diese Shop ist wieder urig und Klasse. Ich habe selten derartig kultige Fahrradgeschäfte gesehen. Hier in Portugal gibt es wohl auch viele Fahr-radbegeisterte. Wir lassen uns die Adresse von Ricardo geben und versprechen im zu schreiben, sobald wir in Marokko sind.

Es ist ein wunderbares Erlebnis in einem fremden Land, einer fremden Stadt so unheimlich nett und zu-vorkommend behandelt zu werden. Portugal ist echt toll.

Nachdem Thorsten noch bei der Bank war und ich Postkarten gekauft habe, gehen wir eine Pizza essen. Thorsten einen gemischten Salat und eine Margherita, ich eine Vegetarische, dazu Wasser. Es schmeckt vorzüglich. Während wir aufs Essen warten schreiben wir gleich ein paar Postkarten. Gegen sechzehn Uhr suchen wir dann schließlich noch E.Leclerc auf, einen Riesensupermarkt mit achtundzwanzig Kas-sen. Damit ist unser Einkaufsnachmittag in Figueira da Foz aber vorbei. Erst um siebzehn Uhr geht es weiter. Bis um neun Uhr abends machen wir die 108 km voll. Wir erreichen Leiria, eine wunderschöne Stadt, allerdings nicht direkt am Meer. Auch hier helfen uns Jugendliche in gutem Englisch, schnell die Jugendherberge zu finden. Dort stellen wir fest, das sich Portugal ja in einer anderen Zeitzone befindet. Wir haben es also erst acht Uhr abends. Das freut uns.

Die Jugendherberge selbst ist die schönste, die ich je in meinem Reiseleben gesehen habe. Zentral in der Altstadt gelegen, mit Blick auf die ansässige Burg auf dem Berg, sieht sie von außen eher unscheinbar aus. Innen kommen wir aus dem Staunen nicht mehr heraus. Alle Decken sind aufs wunderbarste verziert. Filigrane Arbeiten an jeder Wand, geschwungene, schwere Marmortreppen, weite Vorhänge, stilvolle Lampen, gestrichen in den passendsten Farben, usw. Auch die Zimmer sind verziert. Das Bad spiegelt vor Sauberkeit, eine Marmorplatte umgibt die Waschbecken. Alles in allem nächtigen wir heute Nacht in der edelsten 5-Sterne-Herberge.

Wir duschen, waschen unsere Klamotten, denn es gibt Waschbecken mit Stöpsel. Dann wird es draußen langsam dunkel. Ich gehe kurz in die Stadt telefonieren. Thorsten setzt sich währenddessen in den angrenzenden, ummauerten Garten. Auch er ist sehr harmonisch und einladend angelegt. Als ich wie-derkomme und auch in den Garten lesen komm, bekommen wir Hunger. Haben wir noch irgendetwas zu essen? Aber natürlich, noch zwei kleine Dosen Spaghetti und einmal Ravioli! Thorsten geht in die Herbergsküche und bereitet das Essen zu. Der Essraum, gleichzeitig Fernsehraum, ist auch wunderbar. Überall kleine Tischchen und grüne Sessel. Es schmeckt gut.

Jetzt sitze ich wieder hier draußen im Garten unter einer Lampe. Rechts von mir ein Blumenbeet mit Blumen, die aussehen wie übergroße Nelken. Vor mir, in der Mitte des Gartens ein großer, mächtiger Baum. Ich sitze auf amphitheatermäßig angeordneten, also rund verlaufenden Treppenstufen. Ein paar Häuser weiter wird angenehme Musik gespielt. Es ist einer dieser Abende, an denen man sich der Gottheit so nahe fühlt, so eng verbunden mit der Schönheit dieser Welt, die einen in unerwarteten Momenten überrascht. Ich bin zutiefst beeindruckt, zutiefst verbunden, fühle ich mich doch königlich aufgenommen und ruhelos rastend fern zugleich.

26. Tag, So, 30. Juli 2000

... wo wir erbärmlich schwitzend Lissabon erreichen ...

Ich wache in der Jugendherberge um sieben Uhr vierzig portugiesische Zeit auf. Um halb neun gibt es Frühstück: O-Saft, Joghurt, zwei Brötchen, Käse, Marmelade, Kakao und Butter. Es ist im Ordnung. Im Gegensatz zu den Spaniern essen die Portugiesen wenigsten Frühstück. Wir essen wieder in diesem klei-nen niedlichen Speisesaal an den kleinen niedlichen Tischen. Gegen zehn Uhr reisen wir ab. Ich muss noch zur Bank. Dann sehen wir einen McDonalds und kehren natürlich ein. So früh schon? Das muss sein! Es geht weiter im benachbarten Lidl-Markt. Es scheint so, als haben in allen südlichen Ländern die Supermärkte sonntags geöffnet. Dann geht es aber endlich los (halb zwölf).

Es wird ein brechend heißer Tag. Sicherlich weit über dreißig Grad im Schatten. Wir schwitzen erbärmlich, fahren dennoch fast ununterbrochen durch die Mittagshitze. An jeder größeren Tankstelle halten wir an und kaufen uns Eis. Am Abend haben wir es dann geschafft: Wir erreichen Lissabon, die Hauptstadt Portugals. Thorsten hat bis dahin acht Eis, ich vier gegessen. Wir sind stolz, wie wir uns durch das Meer von Schweiß gekämpft haben. Trotzdem müssen wir unsere Fahrzeiten dringend auf morgens und abends verlegen. Ab etwa neunzehn Uhr ist es nämlich wirklich angenehm zu fahren.

Der erste Eindruck von Lissabon gleicht dem jeder anderen Großstadt: Verkehr. Wir fahren zum Teil auf fünfspurig ausgebauten Straßen in die Stadt. Dass es gerade gegen Abend schon recht dunkel wird, trägt nicht unbedingt zur leichteren Orientierung bei. Wir folgen immer den grob ausgeschilderten Richtungen ins Zentrum. Gegen zweiundzwanzig Uhr finden wir eine Unterkunft, die zentral in der Nähe des ‚Praça do Comércio’, einem der Hauptplätze Lissabons liegt. Unsere Unterkunft ist wirklich das letzte Loch. Das ‚Fenster’ zeigt in eine Art Luftschacht, das Zimmer hat Bettgröße plus vielleicht einen Meter in Länge und Breite. Immerhin gibt es ein Waschbecken und ein Bidet. Es ist recht billig und für uns, die wir Betoncampingplätze gewöhnt sind, auch völlig ausreichend. Gegen dreiundzwanzig Uhr ziehen wir noch einmal los, um uns etwas Essbares zu organisieren. Wir landen bei einem Mexikaner. Es schmeckt ausgezeichnet, wird begleitet von stürmisch mexikanischer Live-Musik. Danach schlendern wir noch etwas durch die Stadt, setzten uns auf den ‚Praça do Comércio’ und genießen den Abend. Es gibt hier Geschäfte, die bis um zwei Uhr morgens geöffnet sind! Gegen zwei Uhr fallen wir schließlich todmüde ins Bett. Kein Wunder, nach den etwa 140 km, die wir gefahren sind. Morgen erwartet uns ein Tag Ruhepause mit intensiver Lissabon-Besichtigungstour. Wir haben ihn uns auch redlich verdient ...

27. Tag, Mo, 31. Juli 2000

... wo wir von Unicef herzlich empfangen werden ...

Heute wache ich genüsslich um neun Uhr auf und rasiere mich ausgiebig. Thorsten schläft noch etwas länger, gibt sich dann jedoch auch gleich der Gesichtspflege hin. Wir haben, Loch hin, Loch her, doch ganz gut schlafen können. Muss wohl an der alten Federkernmatratze gelegen haben, denn zugedeckt haben wir uns nicht, so warm war es. Heute steht uns eine Sightseeing-Tour durch Lissabon bevor. Wir stärken uns auf unserem Zimmer für den Tag mit einem kräfti-gen Müsli. Um halb elf verlassen wir dann unser Hotel. Wir haben beschlossen, noch eine wei-tere Nacht hier zu bleiben. Es ist praktisch, dass wir die Fahrräder oben direkt vor die Rezeption stellen dürfen. Gierig nimmt uns der Wirt die fälligen 5000 Escudos (50 DM) aus der Hand.

Das erste was Thorsten entdeckt, ist ein Hip-Hop-Plattenshop. Er wir von einem 35-jährigen Bremer geleitet, der ein Haus in Brasilien hat und seit vier Jahren in Lissabon lebt. Thorsten hört ein paar Tapes probe und kauft schließlich drei Kassetten. Dann geht es weiter. Wir schlen-dern durch die ‚Baixa’, einen Stadtteil der Unterstadt am Tejo, flanieren die Prachtstraße, die ‚Avenida da Liberdade’ entlang. Am Ende dieser Straße, in einer Nebenstraße erwartet uns im dritten Stock Unicef Lissabon. Wir klingeln, ein Mann macht auf. Wir treten an den Empfang. Sie sprechen alle sehr gut Englisch. Die Dame dort weiß nichts von zwei deutschen Radfahrern. Eine dritte weiß Bescheid. Natürlich har niemand etwas vorbereitet. Zu ungewiss war der Zeit-punkt unseres Kommens und die Informationen. Sie heißen uns willkommen, fragen uns was wir von ihnen erwarten. „Nichts, natürlich“, sage ich, „wir wollten nur vorbeischauen“. Wir sind ja schließlich irgendwie im Dienst Unicefs unterwegs. Dann hat die Frau eine Idee. Sie sagt, dass wir Glück hätten. Gerade heute sei der Präsident des portugiesischen Unicef-Verbandes anwesend. Vielleicht möchte er uns empfangen. Sie hat uns in ein Zimmer gebeten. Alle warten dort, der Präsident und andere. Sie schenken uns Unicef-T-Shirts, Sticker und haben extra für uns ein Schreiben aufgesetzt, das unsere Ankunft bestätigt, uns für unseren Unicef-Einsatz be-dankt. Echt toll! Wir sind total überrascht. Welch ein herzlicher Empfang. Wir machen noch zwei Fotos, dann verabschieden wir uns. Positiv beeindruckt nehmen wir die U-Bahn zurück ins Stadtzentrum. Wir brauchen eine Möglichkeit zum Mittagessen. Wir kehren ein bei einem Fast-Food-Sandwich-Laden. Es schmeckt wirklich so gut, wie es auf den Bildern aussah.

Den Nachmittag wollen wir auf den ‚Castello de São Jorge’ verbringen, der Burg, die über der Stadt thront, die zudem über eine herrliche Aussichtsterrasse verfügen soll. Es ist dann auch wirklich einmalig. Den ganzen Nachmittag, bis achtzehn Uhr verbringen wir mit dem Schreiben von Postkarten. Dann machen wir uns auf den Rückweg, wir suchen wieder etwas zu essen. Wir entscheiden uns für ‚Telepizza’, das portugiesische Äquivalent zu ‚Pizza-Hut’. Es gibt drei Pizzagrößen. Wir entscheiden uns jeder für Medium. Es ist dann allerdings wirklich viel. Kurz vorher habe ich mir noch eine FAZ gekauft. Es gibt hier nämlich deutsche Zeitungen und Zeitschriften. Gegen dreiundzwanzig Uhr gehen wir zu unserer Unterkunft zurück, kaufen vorher noch Orangensaft. Ich gehe noch telefonieren. Um halb eins liegen wir mit gepackten Taschen im Bett. Morgen wollen wir sehr früh aufstehen und das erste Boot um sechs Uhr dreißig nach ‚Montijon’ nehmen. Wir haben keinen Wecker, allerdings vertraue ich auf meine innere Uhr, die mich neuerdings immer dann aufwachen lässt, wann ich mir es abends vornehme. Praktisch, nicht?

28. Tag, Di, 1. August 2000

... wo wir ins Land der Korkeichen kommen ...

In der Tat wache ich um kurz vor sechs Uhr auf. Ich wecke Thorsten, dann geht es los. So leise wie mög-lich tragen wir unsere Fahrräder die Treppe der Herberge hinunter. Die Treppe ist unglaublich steil, sehr schmal und bestimmt sehr alt; auf halber Stecke weist sie noch mal eine Tür auf, so dass es gar nicht so leicht ist, die Fahrräder dort hinunter zu bekommen. Dennoch erreichen wir pünktlich um sechs Uhr fünf-undzwanzig den Ableger. Die Überfahrt kostet 900 Escudos pro Person und Fahrrad. Um halb sieben legt das Boot ab. Es ist keineswegs voll. Es sind nur ein paar andere Gäste mit an Bord des Bootes vom Typ eines Schnellschiffes. An Bord essen wir ein Käsebrötchen als erstes kleines Frühstück. Kaum legen wir eine halbe Stunde später wieder an, radeln wir auch schon weiter, die ersten 27 km bis Setubal zur dorti-gen Autofähre. Bis um neun Uhr haben wir dann auch die zweite ‚Wasserhürde’ genommen. Wir geneh-migen uns erst einmal ein zweites, diesmal kraftvolles Müsli-Frühstück. Wir sind in einer Touristensied-lung gelandet, überall Hotelhochhäuser und Strände. Wir kaufen noch kurz in einem Supermarkt ein und gehen in einem Hotel aufs Klo. Dann geht es wieder weiter.

Heute passieren wir kaum Dörfer, stattdessen erwartet uns trockene Dürre und viele Korkeichenplanta-gen. Einmal sägen wir uns jeder eine Stück gewachsenen Kork ab. Wir haben uns überlegt, nicht mehr weiter der Küste durch die Algarve zu folgen, sondern jetzt Richtung spanisch Sevilla zu fahren. Das ist kürzer, da wir auf jeden Fall durch Sevilla müssen. Nach einer längeren Mittagspause vor einem Lidl-Markt, erreichen wir nach 118 km ein Hotel kurz vor ‚Ferreira do Alentjo’. Es ist groß aber irgendwie merkwürdig. Es wird von drei großen Hunden bewacht, die uns gehörig Angst einjagen, als wir um einundzwanzig Uhr nach einem Zimmer fragen wollen. Wir können eines bekommen. Kein Wunder. Die ganze Anlage sieht aus wie eine großspurig geplante Touristenparadies-Anlage, was aber in einer Fehlinvestition endete: Überwucherte Anlagen und Schwimmbecken. Nur das ‚Hotel’ ist damals wohl wirklich fertiggestellt worden. Ich will noch telefonieren, im Hotel gibt es allerdings nirgends ein Tastentelefon, sondern nur Drehscheibenapparate. Wie sollen wir denn da unsere Rubbeltelefonkarten einsetzten? Na ja. Morgen haben wir wieder viel vor, deshalb gehen wir jetzt ins Bett.

29. Tag, Mi, 2. August 2000

... wo Thorsten seine Hupe verschenkt und Spanien uns wieder hat ...

Aufgestanden um kurz nach acht fahren wir nach einem flotten Brötchenfrühstück ab. Nach etwa 35 km machen wir Rast an einer Tankstelle, essen Müsli mit Apfel. Ach ja, kurz vorher haben wir uns schon eine Melone am Straßenrand gekauft und gleich vernascht. Es geht weiter. Gegen vierzehn Uhr machen wir Mittagspause. Es gibt allerdings nur Orangen und ein Eis zu essen. Alle Läden in dem Dörfchen mit den auffällig weiß gestrichenen Häusern – übrigens überall hier in der Gegend – haben geschlossen oder schließen gerade zur Siesta. Wir rasten in einem kleinen Park unter Orangenbäumen und Palmen. Direkt neben uns steht ein Wasserturm, der von etwa 300 Schwalbennestern geziert wird. Es liegt überall ein Flattern und Schwirren und Piepsen in der Luft.

Thorsten geht telefonieren. Er hat noch eine portugiesische Telefonkarte, die er leer machen muss: wir sind schon kurz vor der spanischen Grenze, die wir wohl nachher überqueren werden. Um kurz vor sieb-zehn Uhr (spanische Zeit) fahren wir schließlich wieder weiter, nur um im nächsten Ort, dem letzten vor der Grenze, wieder Rast zu machen. Wir wollen essen gehen, um unser portugiesisches Kleingeld loszu-werden. Vorher kaufen wir aber noch in einem kleinen Lädchen ein. Dieser portugiesische „Tante-Emma-Laden“ nimmt auch unsere

Während wir essen trifft ein Frauenquintett ein. Sie sind furchtbar lustig drauf, lachen ununterbrochen und knallen sich gläserweise Sangria rein. Eine von ihnen fährt voll auf Thorstens Micky-Maus-Hupe ab. Ständig hupt sie, was noch größere Heiterkeit bei ihr und dem Frauenverein auslöst. Der Wirt übersetzt uns, dass sie die Hupe gerne kaufen würde, wie viel Thorsten dafür haben wolle. Thorsten gibt sie ihr gegen ein Küsschen. Das Gejohle und Gehupe ist groß. Später legt die Frau noch zweitausend Escudos als kleine Entschädigung zu unserem Essen drauf, etwa zwanzig Mark, das ist sehr großzügig. Als wir die Rechnung bekommen bestellen wir jeder noch schnell ein Mars-Eis. Wir müssen insgesamt noch 1550 Escudos zahlen. Ich gebe 1500 und all mein Kleingeld, natürlich mehr als genug, aber was soll ich damit noch in Spanien? Der Wirt schenkt uns Prompt noch zwei Halbliterflaschen Wein. Die Menschen hier sind wirklich sehr freundlich, zuvorkommend und kontaktfreudig.

Zu uns an den Tisch hatte sich auch noch eine Portugiesin gesetzt, die fließend französisch sprechen konnte, weil sie sechs Jahre in Frankreich gelebt hat. Mit ihr konnte ich prima plaudern. Sie hat sehr viel erzählt, von sich, ihrer Familie und ihrem Leben in Frankreich und in Portugal. Erst gegen zwanzig Uhr fünfzehn brechen wir schließlich auf. Der Wirt wünscht und noch alles Gute. Er meint, wir sollen in Ma-rokko vorsichtig sein und uns vor Überfällen in acht nehmen.

Wir fahren weiter. Schon nach drei Kilometern kommt die Grenze nach Spanien. Wir fahren, mit dem Licht der untergehenden Sonne im Rücken, lange Schatten auf die Landschaft werfend, bis es dunkel wird, dann erreichen wir Aroche. Dort soll es einen Zeltplatz geben. Leider ist es wirklich schon sehr dunkel. Thorsten fragt bei einem Wohnhaus, wo wir den Campingplatz finden können. Auch hier sind die Menschen sehr hilfsbereit. Ein Mann versucht erst, uns den Weg mühsam zu erklären. Wir verstehen null Spanisch, so dass er kurzerhand in sein Auto steigt und voraus fährt, um uns den Platz zu zeigen.

Das war auch wirklich notwendig. Es stand kein einziges Zelt da, kein Wohnwagen, nichts außer eine leicht terrassenförmig ansteigende Wiese. Ein junger Typ arbeitete an einer Art Karibik-Bar im Freien. Es waren aber auch keine Gäste zu sehen; laute Musik schallte über den Platz. Nie im Leben hätte ich dieses Areal als Zeltplatz erkannt. Ich wäre glatt vorbeigefahren. Der junge Typ deutet uns, dass wir wählen können, wohin. Wir suchen uns ein schönes Plätzchen, bauen unser Zelt auf, gehen duschen und gesellen uns dann an die Bar, an der sich mittlerweile vielleicht ein Dutzend Gäste eingefunden haben. Nach zwei kleinen Bieren und zahlreichen erfolglosen Verständigungsversuchen mit den Einheimischen, die hier wirklich nichts als Spanisch sprechen – ein Kerl labert Thorsten auf Spanisch eine Kante ans Bein – ge-hen wir gegen ein Uhr dann schließlich schlafen.

Die heutige Tagesetappe betrug 114 Kilometer durch trockenes, nur von Korkeichen unterbrochenes Buschland, auf dem gelegentlich ein paar Rinder und Schafe weideten. Den ganzen Tag lag uns ein mo-nophones Zirpen von Myriaden von Zikaden im Ohr. Irgendwie erinnert es mich hier an den klischeehaf-ten wilden Westen, den man aus dem Fernsehen kennt. Abends vor dem Zelt haben wir dann auch noch einen wunderbaren Geruch in der Nase: Dort wächst Pfefferminze. Sie riecht sehr gut und äußerst inten-siv. So schlafen wir schließlich mit Pfefferminzgeruch und Zikadengesang ruhig ein, gespannt darauf, was der nächste Tag bringen wird.



30. Tag, Do, 3. August 2000

… wo wir nach brütender Hitze und quälenden Bergen Sevilla erreichen ...

Ich wache schon um kurz vor neun Uhr auf und gehe erst einmal duschen. Als ich fertig bin ist auch Thorsten gerade aufgewacht. Wir bauen in Ruhe unser Zelt auf dem menschenleeren Platz ab. Es ist wirklich niemand da, auch später, als wir abfahren wollen, wissen wir nicht, wo wir für die Nacht und die beiden Bier von gestern Abend bezahlen sollen. Der Typ, der noch an der Bar gearbeitet hat, ist auch nicht da, auch in der Kneipe nebenan, in der Thorsten fragt, können wir nicht bezahlen. So fahren wir um zehn Uhr fünfundvierzig mit schlechtem Gewissen als Zechpreller los.

Es geht sofort den Berg hinauf, auf 720 m. Nach 14 km treffen wir auf den ersten Ort. Er heißt Cortegana und liegt praktischen mitten auf einem Berg. Dort machen wir Frühstückspause mit dem obligaten Müsli. Die Zutaten, Joghurt, Apfel und Milch kaufe ich erst dort, in einem klei-nen Laden auf der anderen Straßenseite. Wir sitzen auf einer kleinen Terrasse vor einer Bar, an deren Mauer unsere Räder lehnen und lassen die Beine baumeln, während wir essen. Neben uns sitzt ein Junge, vielleicht zwölf Jahre alt und starrt, besser glotzt uns an. Jeden Löffel verfolgt er mit seinen Augen bis in den Mund. „Hat der noch nie zwei Radfahrer ein Müsli essen sehen?“, meint Thorsten. Wir fühlen uns ein bisschen wie im Zoo, beguckt und bestaunt von irgendwel-chen Bekloppten. Der Junge heißt Eduardo, wie wir nach einiger Zeit mittels Zeichensprache herausfinden. Mehr können wir uns aber kaum verständigen. Um halb eins ist dann Schluss mit gucken: wir fahren weiter.


Es geht sehr viel bergauf, bergab, wir überqueren den ‚Sierra de Aracena’ und einige kleinere Bergzüge. Wir machen nur noch kurze Pausen, in denen wir uns ein Eis oder einen Sandwich kaufen, obwohl das gar nicht so einfach ist: Die Ort, durch die wir kommen sind einfach zu klein. In Aracena versuchen wir eine Post zu finden. Thorsten will noch ein Päckchen schicken. Doch die Post hat seit fünfzehn Uhr geschlossen, stellen wir um Viertel nach fest.

Gegen Nachmittag wird es dann auch richtig heiß, doch wir lassen uns nicht beirren, überqueren die ‚Grenze’ zur spanischen Provinz Sevilla, denn Sevilla selbst ist auch unser Ziel für den heu-tigen Tag.

Erst gegen Abend erreichen wir es, Sevilla, die viertgrößte Stadt Spaniens, nach genau 143 km und 7 Std 15 min Fahrzeit. Das ist fantastisch, neuer Rekord was Strecke und Höhenmeter be-trifft.

Sevilla scheint eine zivilisierte Stadt zu sein: Zu Abend essen wir bei McDonalds. Sonst sehen wir aber wenig, da es schon lange dunkel ist, als wir die Jugendherberge gegen zehn Uhr errei-chen: 1605 Peseten pro Person, dafür ein Doppelzimmer mit Dusche, WC (desinfiziert), alles also hervorragend und wirklich zu empfehlen. Nach dem duschen gehe ich raus und telefoniere noch lange mit Inka. Thorsten schreibt am Internet-Automaten eine E-mail an Frau Leiendecker. Um ein Uhr entschlummern wir diesem anstrengenden Tag, sehr zufrieden mit unserer Leistung in drei Tagen von Lissabon nach Sevilla gefahren zu sein. Cool, nicht?


31. Tag, Fr, 4. August 2000

... wo wir in einem Fliegenschwarm ausharren bis Thorstens Bauchschmerzen aufhören ...

Um halb acht in der Herberge von Sevilla aufgewacht, gepackt, um acht Uhr gefrühstückt, sind wir dann erst einmal zur Hauptpost von Sevilla gefahren, genau gegenüber der berühmten, überragenden Kathedrale der Stadt. Sie hat um neun Uhr aufgemacht. Dann hat es etwa eine Stunde gedauert, bis wir unsere Pakete fertig gepackt und aufgegeben haben. Dann machen wir natürlich noch ein Foto vor der Ka-thedrale. Ihr Turm sieht aus wie ein maurisches Minarett. Obwohl sie heute eine katholisches Gotteshaus ist, zeigt dies doch schön, wie universell früher noch von der Maurenherrschaft bestehende Relikte genutzt und umgebaut worden sind.

Nachdem wir ein bisschen gestaunt haben fahren wir schließlich los, weiter Richtung Süden. Das mickrige Frühstück ist schon längst verdaut, so dass wir außerhalb der Stadt in einem riesigen Supermarkt – Carrefour – einkaufen und uns ein kräftige Portion Müsli auftun. Anscheinend war das allerdings nicht ganz optimal. Nach 35 km bekommt Thorsten unheimliche Bauchschmerzen. Wir machen etwa drei Stunden lang Rast, bis es wieder einigermaßen geht. Wir lagern dabei, auf dem Boden sitzend oder lie-gend in einer Art Bushäuschen. Lästig werden uns aber mit der Zeit die Fliegen die uns zu hunderten umgeben. Bis zum Abend erschlage ich wohl fünfzig Stück, zum Teil drei auf einen Streich. Aber ir-gendwie werden es nicht weniger. Und dann beobachte ich die Ameisen, die fleißig jeden Fliegenkadaver in ihren Bau transportieren, der hier irgendwo in der Nähe sein muss.

Die umgebende Landschaft ist hier ziemlich trostlos. Gelegentlich durchziehen lange Wasserleitungen das ansonsten kahle, baumlose, dafür hügelige Land. Nach 77 km machen wir gegen neun Uhr abends in dem Örtchen El Cuervo Schluss und suchen uns ein Gasthaus. Das Zimmer ist gut. Es gibt sogar einen Pool, was Thorsten sofort ausnutzt. Ich genieße nur die kalte Dusche. Um elf Uhr machen wir Licht aus und legen uns träumen.

32. Tag, Sa, 5. August 2000

... wo uns ein Sturz aus unseren Träumen reißt ...

Wir stehen erst um kurz vor neun Uhr auf, machen uns fertig. Das Zimmer ist leider ohne Früh-stück, so dass wir uns gleich in El Cuervo nach einem Supermarkt umsehen, um wieder einmal ein kräftiges Müsli zu uns zu nehmen. Thorsten kauft sich allerdings noch drei Magnum Man-del. Irgendwie muss aber die Kühltruhe nicht ganz in Ordnung gewesen sein, denn noch vor dem ersten Biss fällt alles vor Flüssigkeit auseinander. Thorsten wird gleich von einem Opa angemacht, er soll gefälligst nicht den Bürgersteig mit seinem Eis vollsauen.

Na ja, nach einigen mehr oder weniger guten Erlebnissen in diesem scheinbar geistig be-schränkten Ort – es ist zum Beispiel Sitte, erst wie bekloppt an einer Tür zu rütteln, und dann ein erklärendes Schild im Fenster zu lesen – machen wir uns wieder auf den Weg.

In Jerez de la Frontera besuchen wir zu Mittag den ansässigen McDonalds. Dann geht es weiter. Wir passieren Cadiz, Puerto Realo, San Fernando und kommen schließlich wieder an das Meer, in einem absoluten Touristenzentrum mit vielen Golfplätzen und Strandtouristen.

Ach ja, was ich fast vergessen hätte: Nachdem wir heute fast das hundertste totgefahrene Tier am Straßenrand gesehen haben, kommen wir auf die makabre Idee, ein Bewertungssystems für platt-gefahrenen Tiere einzuführen. Die A-,B- und C-Note, jeweils von eins bis zehn. Die A-Note gibt die technische Schwierigkeit an, den das Tier kurz vor seinem Tod auf sich genom-men haben muss, um in dieser Position zu sterben. Die B-Note ist der künstlerische Ausdruck und die Position, in der das Tier daliegt, und die C-Note gibt wieder, in welchem Verwesungs-zustand sich das Tier befindet.

Wir haben soviel Gegenwind, fahren heute zum Teil auf der Autobahn. Da kann bei dem An-blick soviel toten Fleisches schon mal auf dumme Gedanken kommen ....

In Gedanken waren wir dann auch etwa eine Stunde später in dem Örtchen Conil de la Frontere. Thorsten, der schräg rechts hinter mir am fahren war, wollte an einer Kreuzung geradeaus wei-ter, ich allerdings rechts. Ich hatte auch meine Ski-Sonnenbrille auf, mit dem seitlichen Sicht-schutz und konnte daher aus den Augenwinkeln nichts sehen. Dann ging plötzlich alles ziemlich schnell. Wie haken uns ineinander und kippen beide rechts über, erst Thorsten, dann ich. Schö-ne weiche Landung kann ich nur sagen. Zum Glück hat sich keiner von uns verletzt. Allerdings muss unser Sturz die Attraktion des Tages gewesen sein für die Alten, die hier aufgereiht am Straßenrand sitzen...

Wir fahren jedenfalls weiter, bis zu einem Campingplatz in El Palmera. Er ist eigentlich schon voll, doch eine Nische kann die junge Platzwärterin für uns noch ausmachen. Gleich neben uns machen wir noch zwei kleine Igluzelte aus, in denen zwei Deutsche Typen wohnen. Wir reden aber nicht viel, da sich die beiden noch schlafen legen, um heute Nacht in den Diskos der Um-gebung aktiv zu sein. Darauf haben wir nicht so richtig Lust.

Auf die erlösende Dusche müssen wir heute, nach genau 104 km, sehr lange warten, da sich eine lange Schlange vor dem Duschhäuschen gebildet hat. Es sind wohl gerade alle Leute vom Strand gekommen, so dass es einen kleinen Duschstau gibt, um für den Abend frisch zu sein. Richtig lustig wird es dann, als auf dem Campingplatz der Strom ausfällt und Thorsten und ich gerade in der Dusche stehen. Das macht Spaß.

Ein Typ spricht uns in der Rezeption an. Er meint, er hätte uns schon vor zwei Tagen in der Jugendherberge von Sevilla gesehen und jetzt zum zweiten Mal. Er ist total begeistert von dem was wir tun und wünscht uns viel, viel Glück. Ein schöner Zufall, nicht? Wir kaufen noch in einem Supermarkt ein und gehen dann um elf Uhr schlafen, nach einem harten Tag.

33. Tag, So, 6. August 2000

... wo ein handfester Sturm uns zum Schieben zwingt ...

Die ganze Nacht über hat der Wind zunehmend aufgefrischt. Dennoch habe ich sehr gut geschlafen. Wir haben eine vielleicht fünf Meter hohe Hecke gegenüber unserem Zelteingang, so dass wir recht windge-schützt lagern. Unser Zelt lassen wir ja nachts immer offen, wenn es nicht gerade regnet.

Erst gegen zehn Uhr bekommen wir die wirkliche Kraft zu spüren, die der Wind über Nacht geschöpft hat: Wir verlassen nach dem Frühstück das geschützte Areal des Zeltplatzes, als uns der Wind mit voller Kraft ins Gesicht bläst. „Gegenwind“, fluchen wir beide, besser Gegensturm. Wir treten mit aller Kraft in die Pedale und schaffen dennoch nur etwa 8 km/h. Das frustriert schon nach wenigen Kilometern. Wir kämpfen uns durch bis Barbate, ein etwas größeres Touristenörtchen etwa 25 km entfernt. Als es ein Stück bergauf geht sind wir für einen kurzen Moment im Windschatten, doch nachher müssen wir dann sogar bergab treten. In Barbate selbst wir es noch schlimmer. In den Wind mischen sich Sandkörner, die auf die Haut peitschen und Müll, der sonst unbeachtet herumliegt, wird zu fliegenden Geschossen. Sandsturm? Müllsturm. Wir machen erst einmal in einer Pizzeria Pause und essen zu Mittag, Thorsten einmal Spaghetti Napoli, ich eine Pizza Vegetariana.

Etwa um vierzehn Uhr machen wir uns wieder auf. Der Wind scheint nochmals stärker geworden zu sein, zumindest kommt er stärker von der Seite, was das Fahrradfahren fast unmöglich macht. Wir werden mehrfach umgepustet, ich traue mich kaum noch in meine Klickpedale, um mich noch schnell genug abzufangen. Schließlich hilft es nichts mehr. Wir müssen schieben und brauchen etwa zwei Stunde bis zum zehn Kilometer entfernten Dörfchen Zahara. Thorsten hält bei jedem größeren Lieferwagen den Daumen raus, doch keiner hält an und nimmt uns mit. Wir wollten heute Abend schon in Marokko sein, doch daraus wir nun wohl nichts.

In Zahara haben wir dann auch genug für heute. Nach nur vierzig Kilometern suchen wir uns einen Cam-pingplatz. Es ist noch früher Nachmittag, also gehen wir noch ein bisschen an den Strand. Obwohl der Sand auf der Haut sticht, legen wir uns ein bisschen in die Sonne. Dann gehen wir auch schwimmen im tiefklaren, blauen Atlantikwasser. Das ist herrlich und man merkt den Wind nicht so.

Auch abends flaut der Wind nicht ab. Nach einem kargen Keksabendbrot, kaufe ich mir zwei Gläser Ba-bynahrung. Eine Sorte schmeckt, die andere nicht. Wir gehen noch telefonieren und denken dann ans Schlafengehen.

Wir entschließen uns die Zelte nicht aufzubauen, sondern mit unseren Schlafsäcken einfach so auf dem Boden zu schlafen. Die Nacht wird dann auch wirklich grausam. Der Wind tost in solcher Lautstärke, alles ist unbequem. Um ums herum fliegen ein paar Zelte weg, andere biegen sich im Wind. Ich mache die halbe Nacht kein Auge zu. Auch Thorsten vertreibt sich die Liegezeit mit Musikhören in seinem Schlafsack. Wird es morgen besser?

34. Tag, Mo, 7. August 2000

... wo wir uns nach Marokko einschiffen ...

Ich bin froh, als es wieder hell wird, und enttäuscht darüber, das es immer noch stürmt. Die Nacht war grauenhaft. Dauernd aufgewacht. Thorsten ist morgens als erster auf (oder gerade deshalb?) Wir sind in den Schlafsäcken fast weggeweht und natürlich hat es auch nicht aufgehört zu winden.

Wir entschließen uns, da Fahrradfahren immer noch keinen Sinn macht, den Bus nach Tarifa zu nehmen. Von dort soll es ein Schiff nach Tanger/Marokko geben. Wir fragen uns zur Bushaltestelle von Zahara durch, die natürlich weder ausgeschildert noch irgendwie gekennzeichnet ist. Zwei Engländerinnen aus der Nähe von Bristol, die auf einer Bank ebenfalls auf einen Bus in die andere Richtung warten, geben uns dann die entscheidenden Informationen. Wir warten etwa eine Stunde. Dann erfahren wir von einem älteren Herrn, das der erste und einzige Bus des Tages nach Tarifa bereits heute früh gefahren ist. Können wir also erst morgen weiter? Wir zögern nicht lange und nehmen uns für 8000 Peseten, etwa 100 DM, ein Großraumtaxi bis ins 69 Kilometer entfernte Algeciraz. Von dort aus verkehren stündlich große Autofähren nach Tanger und spanisch Ceuta. Alles klappt wie geplant. Um vierzehn Uhr sind wir am Hafen von Algeciraz. Wir kaufen uns Tickets für eine Person mit Fahrrad (6850 Ptas) und gehen noch ein bisschen in die Innenstadt um bei McDonalds Mittag zu essen. Die 16-Uhr-Fähre ist unsere. Sie legt aber erst um achtzehn Uhr ab, um dann drei Stunden später anzukommen. Ich hätte nie gedacht, dass das solange dauert – Gegenwind?

Während der Überfahrt lernen wir Abdel kennen, einen Belgier aus Brüssel marokkanischer Abstammung. Er spricht gut Englisch und lädt uns ein, vielleicht ein paar Tage in Agadir im Ferienhaus seiner Familie zu verbringen. Er ist sehr sympathisch, also warum nicht?

Kaum in Tanger ausgestiegen – es ist bereits zehn Uhr MEZ aber erst acht Uhr marokkanische Zeit – wartet auf uns natürlich Abdul. Er spricht gut Deutsch, kennt Hans aus Deutschland, bringt uns zu der besten Wechselstube Tangers, in der natürlich nur Freunde von ihm arbeiten, und bietet uns das Hotel seines Vaters an, das beste und billigst in ganz Tanger. Klar, er ist ja unser Freund und ‚Gutmann’.

Zähneknirschend nehmen wir wirklich ein Zimmer in der Pension. Wir haben kaum eine andere Wahl und, da es mittlerweile schon richtig dunkel ist, keine Lust noch länger zu suchen. Für meine 10.000 Ptas bekomme ich 530 Dirham, das Zimmer kostet 120 Dirham, dafür können wir auch die Fahrräder mit aufs Zimmer nehmen. Im Prinzip ist das ja alles in Ordnung, auch wenn das Klo gleichzeitig Dusche und Waschbecken ist, natürlich ohne Klopapier, dafür mit antiquierter Eimerspülung.

Nachdem wir uns in aller Ruhe umgezogen haben, zeigt uns Abdul natürlich noch die Medina von Tan-ger, das ist die Altstadt mit einem Gewirr kleiner Gassen. Er hetzt mit uns zu seinem Kumpel, der irgend-ein Teppichgeschäft unterhält. Dieser geleitet uns sofort ins Hinterzimmer und bietet uns echt marokkani-schen Tee an, Grüner Tee mit Zucker und frischer Pfefferminze, sehr lecker, und will uns dann Teppiche, Tischdecken und Schmuck verkaufen. Nachdem wir ihm gesagt haben, dass wir für so etwas gar keinen Platz auf unseren Fahrrädern haben und erst echt nicht in unserem Zelt, nein, auch nicht, wenn der Tep-pich feuerfest ist, bietet er uns den Tee an. „Ein bisschen Tee würde ich schon kaufen“, meine ich, ein Fehler, wie sich später herausstellen sollte. Denn der Sohn rennt flugs um die Ecke, kauft zwei Pakete billigster Sorte für wohl 12 Dirham zusammen. Das Schlitzohr will sie uns dann für 100 Dirham das Stück andrehen. Zum Glück habe ich ‚nur’ 110 DH im Portemonnaie. Er nimmt alles und ist trotzdem mit dem Handel einverstanden. Na ja, das wäre ich auch. Wir haben natürlich erst später gemerkt um wie viel der Kerl uns beschissen hat.

Aber das sind Anfangsschwierigkeiten mit einer menschlichen Gaunermentalität wie sie mir bisher völlig fremd war. Wenigstens haben wir so einmal ein echtes marokkanisches Hinterzimmer kennengelernt und wissen jetzt, wie man einen Turban wickelt, denn das hat er uns gezeigt.

Da wir nun ‚kein’ Geld mehr haben, will auch Abdul, der auf uns gewartet hat nicht mehr mit uns essen gehen. Wir haben natürlich noch Geld und suchen, nachdem Abdul sich verabschiedet hat, uns selbst etwas. In einer urigen Bude, vielleicht drei Stuhl breit, wo auf einer Gasflasche Tajine (marokkanische Spezialität in Tontöpfen) gekocht wird, essen wir gebratenen Auberginen, Brot und Suppe. Sehr lecker, sehr billig, nur 5 DH pro Person, das ist etwa eine Mark. Wir können dabei auch noch zusehen, wie vor unseren Augen frisch getrockneter Tabak geschnitten und Marihuana gezupft wird. Wahrscheinlich kommt beides aus dem Rif-Gebirge, in dem laut Reiseführer viele Drogen angebaut werden. Wir verabschieden uns und gehen zurück zur Herberge.

Das Einzelzimmer nebenan ist jetzt auch besetzt. Dort wohnt Tijani, ein Vorschullehrer aus Mittelmarok-ko. Er macht Ferien in Tanger und erzählt uns viel über sein Land, vor allen Dingen gibt er uns wertvolle Tipps über das Reisen in Marokko. Wir reden noch lange, erzählen, wie wir vorhin beschissen worden sind. Dann tauschen wir Adressen aus und wünschen ihm eine gute Nacht. Die Betten sind in Ordnung. Das ist schon lustig, sich die Zähne über dem Klo zu putzen.

35. Tag, Di, 8. August 2000

... wo wir in Rabat eintreffen ...

Wir wachen ungefähr gleichzeitig um halb acht auf und schauen gleich aus dem Fenster herunter auf die engen Gassen der Medina. Ein marokkanisches Mädchen will Thorsten heiraten, zumindest macht sie entsprechende Gesten. Schnell packen wir alles zusammen und machen uns auf den Weg. Der Herr des Hauses zeigt uns noch kurz eine Abkürzung aus der Medina. An einem Straßencafe noch in Tanger halten wir zum Frühstücken. Es gibt Baguette mit Streichkäse, eines kostet 2 DH 60.

Ein Marokkaner, er heißt Youssef, spricht uns an. Er kommt aus Casablanca und ist hier in Tanger im Urlaub. Er lädt uns zwei Cafes weiter zum zweiten Frühstück ein, diesmal Chococroissants und den guten marokkanischen Tee. Youssef erzählt viel. Er hat Wirtschaft studiert, ist 30 Jahre alt und meint, wir könnten ihn einmal in Casablanca besuchen. Mit den Baguettes eben sind wir wohl wieder beschissen worden, was uns bei solch niedrigen Preisen reichlich egal ist. Youssef ist es nicht egal. Ihm geht es ums Prinzip. Es sei nicht gut, meint er, wie hier in Marokko die Touristen behandelt werden. Seine Landleute seien alles Diebe und Gauner. Stimmt, so einen hatten wir schon kennengelernt.

Um zehn Uhr verabschieden wir uns, nicht ohne Fotos gemacht und Adressen ausgetauscht zu haben. Wir fahren los, unsere ersten Kilometer in Marokko, dem westlichen Außenposten der islamischen Kultur und Zielland unserer Reise. Es geht sehr schnell vorwärts. De Wind ist im-mer noch sehr stark, kommt diesmal allerdings von hinten. Schon mittags erreichen wir das fünfzig Kilometer entfernte Asilah, ein kleines Touristenstädtchen mit vier oder fünf Camping-plätzen direkt am Meer. Wir suchen uns ein kleines Restaurant. Thorsten bestellt Tajine de Viande, ich nehme Tajine de Poulet. Dazu gibt es Pommes und Brot. Es schmeckt hervorra-gend.

Gleich gegenüber entdecken wir ein Internet-Cafe, wo Thorsten gleich mal seine E-mails abruft und eine an seine Schwester schreibt.

Wir haben uns dazu entschlossen heute noch den Bus nach Rabat zu nehmen. Wir wollen lieber noch ein paar Tage bei den kennengelernten Marokkanern verbringen, als jetzt, wo wir am Ziel sind, noch sinnlos Kilometer zu reißen. Es gibt in Asilah eine CTM-Station am Gare routière (Busbahnhof). Dort kaufen wir uns zwei Tickets für 60 DH pro Person und Fahrrad für eine Fahrt nach Rabat. Allerdings können wir erst um siebzehn Uhr endgültig abfahren. Es gibt Pro-bleme mit dem Verstauen unserer Fahrräder. Erst als ich dem einen 30 DH in die Hand drücke, fällt ihm ein, dass da ja noch ein bisschen Platz unten im Bus ist. Und dann gibt es keine Pro-bleme mit dem Verstauen unserer Fahrräder.

Die Fahrt dauert lange. Wir sind mit einer größeren Pause etwa vier Stunden unterwegs. Die ganze Zeit werden wir während der Fahrt von der marokkanischen Musik verwöhnt, die unun-terbrochen läuft. Als wir Rabat erreichen ist es schon dunkel. Wir montieren schnell die Vorder-räder wieder in die Gabeln, dann geht es los. Zwei Polizisten zeigen uns den Weg in die Innen-stadt. Wir nehmen das erste Hotel, das wir sehen. Es kostet 190 DH, ein Zimmer mit Bad und WC, allerdings ohne Handtücher. Eine erfrischende Dusche, dann fallen wir auch schon todmü-de in die Betten. Die Fahrräder haben ein schönes Plätzchen in der Tiefgarage gefunden. Dort werden sie von einem Kerl bewacht, der wohl sein ganzes Leben in der Garage verbringt und von Trinkgeldern lebt. Na dann viel Spaß. Ich mache jetzt das Licht aus.